Krafttiere

Pferd                                                                            

Wenn wir davon ausgehen, dass die Seelensubstanz des Menschen zusammengesetzt ist aus Seelenpartikeln der gesamten erdgeschichtlichen Evolution, dann ist die Bedeutung der Krafttiere verständlich. Jede Tierart ist in ihrer Erscheinung ein materialisierter Ausdruck bestimmter seelisch-energetischer Substanzen, die auch Teil der menschlichen Seelensubstanz sind. Eine Schwächung oder Disbalance in unserem persönlichen Energiesystem kann aufgehoben werden durch die Begegnung mit genau dem Krafttier, das diesen Bereich der energetischen Schwäche mit seiner Seelenkraft füllen kann.

Ramessos, Painting of a Bison in the Cave of Altamira

Bison, Höhlenmalerei aus Altamira, Spanien
Quelle: Wikipedia
Urheber: Ramessos

SCHAMANISCHE KRAFTTIERE

Dann gibt es die Ahnen- oder Totemtiere. Ihre Seelensubstanz ist ein wesentlicher Teil unserer eigenen Ursprungsseele. Durch sie erfahren wir eine Rückkopplung an die tiefsten Schichten in unserem Seelenursprung. Beide, Krafttiere und Totemtiere, fungieren auf den Seelenreisen als Führer, Beschützer und Lehrer. Ohne sie würden wir uns auf den Seelenreisen verlieren in den unendlichen Weiten unseres labyrinthischen Unbewussten, wir wären schädigenden Kräften ausgeliefert. Das können fremde Kräfte sein, es können auch eigene schädigende Kräfte sein, wie Selbstzweifel oder Selbstzerstörungsdrang, Größenwahn oder Hoffnungslosigkeit. Das Krafttier (oder Totemtier) weiß immer, was in welchem Moment für uns das Beste ist um der Vollendung unserer Seele willen.

Émile Cartailhac, Bison von Altamira

Bison, Höhlenmalerei aus Altamira
Quelle: Wikipedia
Urheber: Émile Cartailhac

Es gibt Krafttiere, die älter sind als die Seelensubstanz des Menschen und älter als die Schöpfung unserer Erde.
Wesen der Urschöpfung, die über die Endlichkeit dieses Planeten hinausgehen. Heilige Kreaturen und Kräfte, die geboren wurden, als sich das Universum aufbaute, die keine direkte Entsprechung haben in unserer Materie, Geistwesen, die für Hierarchien in der Geistigen Welt stehen.
Dazu gehören der Drache und der Blaue Vogel.
Der Blaue Vogel ist die Verbindung zur verlorengegangenen Seligkeit. Der Drache ist das Potenzial riesiger Schöpfungskräfte.

José-Manuel Benito Álvarez, Raubkatze, Höhlenmalerei aus Apollo 11

Beim schamanischen Reisen sucht man sein Krafttier gewöhnlich in der Unterwelt. Man erkennt es daran, dass es sich einem von allen Seiten zeigt. Manche Krafttiere sprechen mit ihren Menschen, manche kommunizieren auf andere Weise:
durch Bilder, Bewegungen, Tanz, Spiel oder über Empfindungen.
Angela Nowicki

Raubkatze, Höhlenmalerei aus Apollo 11, Namibia
Quelle: Wikipedia
Urheber: José-Manuel Benito Álvarez / Locutus Borg

José-Manuel Benito Álvarez, Höhle von Altamira

Höhlenmalerei an der Decke der Höhle von Altamira, Spanien
Quelle: Wikipedia
Urheber: José-Manuel Benito Álvarez / Locutus Borg

Wenn man sein Krafttier findet, dann sollte man es begrüßen und sich ihm vorstellen; ein respekt- und liebevolles Verhalten ist in allen Welten oberstes Gebot.
So kann man sich auch überlegen, ob man ihm nicht gelegentlich eine Freude machen möchte,
ihm beispielsweise etwas zu fressen mitbringen oder sich einmal nur nach seinem Befinden erkundigen, anstatt es immer nur in die eigenen Probleme einzuspannen.
Angela Nowicki

Höhle von Altamira, Deckengemälde nach Cartailhac

Deckengemälde in der Höhle von Altamira, Spanien
Quelle: Wikipedia
Urheber: Abb. nach Cartailhac in Sautuolas Veröffentlichung

Es erscheint einem immer das Tier, dessen Kräfte zurzeit am dringendsten für die eigene Entwicklung gebraucht werden. Es ist also durchaus möglich, dass das Krafttier gelegentlich wechselt, je nach dem derzeitigen Entwicklungsstand.
Angela Nowicki

Matthias Kabel, Höhlenmalerei aus Altamira

Mein erstes Krafttier war ein Stachelschwein. Seine kindliche Verspieltheit war genau die Energie, die ich damals am meisten brauchte. Da ich ein ausgesprochen redseliger Mensch bin, war ich zunächst echt frustriert, dass mein Krafttier ein Schweigegelübde abgelegt zu haben schien. Es brachte es nicht einmal fertig, mir seinen Namen zu nennen. Dafür zog es pausenlos lustige Grimassen, versuchte unermüdlich, mich zum Spielen und Herumtollen zu animieren, egal, welch "schwere" Probleme mich quälten, bis hin zu einer ausgewachsenen Psychedelic-Show...

Angela Nowicki

Psychedelic Porcupine

Wisent, Höhlenmalerei aus Altamira, Spanien
Quelle: Wikipedia
Urheber: Matthias Kabel

Wolf

Foto mit freundlicher Genehmigung
von Like Zoo

Der Wolf. Er hat keinen Namen, darum nenne ich ihn einfach Wolf. Vielleicht ist es sogar besser so, denn er ist wild, und ihm einen Namen zu geben, würde ihn nicht mehr einfach Wolf sein, sondern nun auf einen Namen horchen lassen. Darum hat er also keinen Namen.
Mein Wolf hat die folgenden Charaktereigenschaften: Er ist vor allem sehr schlau und kann sich innerlich immer so freuen. Er findet das Leben spannend. Egal was passiert, er findet es gut, wie es ist, und bewertet es nie. Er findet einfach immer gut, dass die Situation jetzt so ist wie sie ist. So wie damals, als mein alter Lebenbaum ins schwarze Erdloch gestürzt ist. Mein Wolf hat mir damals erklärt, was gerade passiert, da ich das alles nicht recht glauben konnte. Aber er hat es nicht bewertet. Gleichzeitig fand er die ganze Situation spannend und toll, einfach weil alles so war, wie es war. Einfach weil er dort sein konnte inmitten der grünen
Lichtung und der schönen großen Bäume. Wen störte es da schon, wenn ein Erdloch aufgeht und ein Baum
hinabfällt.

Ich weiß, dass er mich mag, da er mir immer zur Seite steht. Aber als mein Baum abgestürzt ist, ging es mir damit gar nicht gut. Aber meinen Wolf störte auch das nicht. Er erklärte mir immer wieder, dass das mein Baum war und, ja, dass er gerade abgestürzt war. Auch wenn für mich in diesem Augeblick ein bisschen die Welt untergegangen war, war mein Wolf vergnügt. Diese Tatsache erstaunte mich und brachte mich derart aus dem Konzept, dass ich die ganze Situation plötzlich auch gar nicht mehr so schlimm fand und gegen Ende die anderen Bäume bewunderte, wie groß und schön sie doch alle waren, und mich zusammen mit dem Wolf freuen konnte. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass er schlau ist und sich immer freuen kann.

Mein Wolf spricht nicht, sondern er denkt mit mir. Also, wir "denken" miteinander, anstatt miteinander zu sprechen. Das ist völlig in Ordnung, da es ja gut funktioniert. Des Weiteren hilft er mir immer mit guten Ideen. Er weiß immer den Weg, hat immer irgendwie die richtigen Sachen dabei oder findet sie schnell, wenn sie benötigt werden. Außerdem kann er Raumshuttle fliegen und Boot fahren. Das finde ich sehr bewundernswert. Er kennt sich sowohl in der Welt mit dem See und dem Wald als auch in der weißen Welt aus.

In der Seelenwelt ist er mein treuer Begleiter, von dem ich sehr viel lernen kann, wenn ich sein Verhalten beobachte, welches mich immer wieder absolut positiv überrascht.

Die Pferde

Angela Nowicki

Auf einmal war das Pferd da. Es hatte ein festes, glänzendes, braunes Fell und eine helle Mähne. Näherte sich mir, zeigte sich mir von der Seite, kam wieder zu mir, tänzelte herum. Ich begrüßte es und sagte ihm, ich freue mich so, dass es aus meinen Träumen jetzt zu mir gekommen sei. Es sagte, es heiße Klaus und wolle mich abholen, doch als ich fragte, ob ich aufsitzen könne, verneinte es das entschieden: Ich darf immer nur an seiner linken Seite neben ihm her laufen und sein Zaumzeug halten, denn Zaumzeug hat es.

HTO, Pferdedarstellungen aus der Höhle von Pech Merle

Pferde, Höhlenmalerei aus Pech Merle, Frankreich
Quelle: Wikipedia
Urheber: HTO / Kersti Nebelsiek

Einmal erschien Klaus mit einem Kummet zusätzlich zu seinem Zaumzeug.
"Wer hat dir das angetan?" rief ich. "Wo kommt das her? Warum trägst du das?"
Es störte mich ungeheuer, am liebsten wäre ich gleich wieder gegangen, ich wollte Klaus so nicht sehen.
"Nimm es mir ab, bitte, nimm es mir ab!" bettelte Klaus.
Ich versuchte es.
"Wer hat dir das denn angelegt?"
"Du", rief Klaus schließlich.
"Ich?"
Ich war entsetzt. Ich kämpfte weiter mit dem Teil und glaubte schon, es abgenommen zu haben, da sah ich ihn wieder eingeschirrt. Es gelang mir nicht, Klaus zu befreien.
Und da begriff ich. Klaus zeigte mir meinen Zustand! Ich war ein freier Mensch, und ich habe mir selbst so ein Geschirr angelegt, das ich nun nicht wieder ab bekomme.

"Komm mit." Klaus führte mich geradeaus. Nach einigen Minuten liefen wir einen Hohlweg entlang. Rechts eine gras- und strauchbewachsene Böschung. Klaus lief nicht neben mir. Ich hatte ihn schon vorher vor mir laufen sehen. Jetzt lief er immer noch vor mir, aber er war vor einen Bauernwagen gespannt! Er ging und zog voller Mühe, müde und schwitzend, einen schweren Bauernwagen. Es schmerzte mich immer mehr.
Da drehte er sich um und fragte: "Wie sind die Pferde in solch eine Situation gekommen?"

Die Pferde.
Freie, stolze Tiere. Kraftvolle Tiere. Schnelle Tiere.
Das ist eine ganz andere Geschichte als bei Hunden und Katzen. Die haben von selbst die Gesellschaft des Menschen gesucht, weil es dort bequemeres Futter gab. Aber Pferde? Pferde wurden von den Menschen mit Gewalt gezähmt. Noch heute gibt es wilde Pferde, vor allem in Amerika, die mit dem Lasso eingefangen werden - es wird regelrecht Jagd auf sie gemacht - und dann "zugeritten". Jedes Pferd muss zugeritten werden. Kein Pferd wird - auch heute nicht - als Arbeitstier geboren. Es sind immer noch freie Tiere, die sich nie freiwillig in Gefangenschaft begeben würden.
Aber wenn ein Pferd einmal in der Gefangenschaft ist, ist es ebenso treu wie ein Hund. Es macht keine Ausbruchsversuche mehr, sondern schickt sich in sein Schicksal, läuft von allein selbst aus weiter Entfernung wieder in seinen Stall, lässt sich ergeben reiten und vor den Wagen spannen... Wo sollte es auch hin? Pferde sind freie Herdentiere, aus einer Herde der Freien. Ein Pferd allein würde untergehen, es lebt ja auch fast nirgendwo mehr in der Nähe seiner Heimat, denn Pferde sind Steppentiere - STEPPENtiere! Daher meine Steppe! Daher Klaus! ...

Pferde aus der Chauvet-Höhle

Beim nächsten Mal kam Klaus ganz frei, ohne irgendwelches Geschirr, er war ein freies, wildes, stolzes Pferd. Und er kam nicht allein. Ein anderes Pferd lief neben ihm auf mich zu, vielleicht eine Stute, doch als sie sich näherten, zog sie sich zurück und verschwand. Ich freute mich so, dass Klaus frei ist, ich freute mich so über die endlose Steppe mit ihrem weichen Gras, über das immer der Wind weht, und ich begrüßte Klaus und begann, laut nachzudenken, wie das war mit der Zähmung der Pferde und wie das war mit meiner Zähmung.
Die Menschen haben die Pferde also mit Gewalt eingefangen und ins Joch gespannt, weil sie so viel schneller waren als sie und ihnen als Fahrzeuge und später als Arbeitstiere nützen konnten, und dann haben sie sie über Jahrtausende hinweg so gezüchtet, dass sie weniger aggressiv und anhänglicher wurden und ganz stockbrav und treu und die Menschenstämme als ihre Herde ansahen.
Sie haben mich also mit Gewalt eingefangen und unters Joch gezwungen, weil ich Eigenschaften hatte, die für sie sehr wertvoll waren, um sie auszunutzen, und dann haben sie mich im Laufe der Zeit so konditioniert oder gezüchtet, dass ich freiwillig bei ihnen blieb, in der Gruppe, die eigentlich mein Leben ist, aber in der falschen Gruppe, in der Gruppe der falschen Wesen, ja -
aber wo sind meine Gefährten? Und dann stand eine ganze Herde Pferde vor mir, und sie schauten mich an.
Ich fragte ergriffen: "Seid ihr meine Seelengefährten?" und dabei lief mir ein Schauer über den Körper.

Da drehte sich eine Stute enttäuscht zu den anderen um und sagte: "Sie erkennt uns nicht."

"Ja, wie soll ich euch denn erkennen?", rief ich verzweifelt, als ein Pferd nach dem anderen sich umdrehte und mich nicht mehr beachtete.
"Ich bin doch kein Pferd. Ich habe zwar dieselbe Seele und dasselbe Schicksal, aber ich war doch kein Pferd? Ich bin doch ein Mensch!"

Pferde, Höhlenmalerei aus Chauvet, Frankreich
Quelle: Wikipedia

Dann hatte Klaus wieder sein Zaumzeug am Kopf, und ich rief: "Warum hast du jetzt das wieder?"
Doch er sagte: "Das brauche ich jetzt noch, um dich zu führen, du musst dich doch an mir festhalten können."

patrick janicek, La Préhistoire

Pferd, Höhlenmalerei aus Lascaux
Quelle: flickr, La Préhistoire
Urheber: patrick janicek

Klaus und eine Stute zu seiner Rechten laufen auf mich zu mit wehenden Mähnen, diese wundervollen dunklen Pferde mit hellen und dunklen Mähnen, die Dunkelbraunen, Schimmernden. Klaus läuft an mir vorbei. Ich begrüße ihn und umarme ihn kurz, dann steht nur die Stute vor mir, senkt den Kopf, ich begrüße auch sie. Sie heißt Linda, und natürlich heißt Klaus eigentlich Lukas. Linda und Lukas sind ein Paar.
"Aber nein", sagt Linda.
"Wir binden uns nicht und sind dennoch treu."
"Du gehörst also zu uns. Du bist von der gleichen Seele."
Genau so hat sie's gesagt: "von der gleichen Seele".
Ich schmiege mich an Linda, streiche ihre Stirn und ihr glänzendes Fell, und dann läuft auch sie an mir vorbei zu Lukas, und dabei schimmert ihr Feld wie dunkle Bronze. Linda und Lukas traben los und ich zwischen ihnen.

Ich bin eine Steppenläuferin, ich laufe in ausladenden, rhythmischen Bewegungen, ganz gleichmäßig, leicht und weich, laufe im gleichen Tempo wie die Pferde, laufe zwischen ihnen, flankiert von den Pferden, schnell, fast wie der Wind, über die endlose Steppe. Laufe einfach so. Weil ich frei bin. Weil ich es kann.

Lukas ist gar kein richtiges Krafttier. Als ich ihn fragte, welche Funktion er für mich eigentlich habe, meinte er: "Sagen wir einfach, ich bin dein Lehrer."

Eines Tages sagte Lukas: "Die Pferde warten auf dich."
Eigentlich sollten wir einen Regenbogen ins Seelenhaus bringen. Es ist mir unangenehm, von der Erfüllung meines "Befehls" abgehalten zu werden. Aber ich weiß auch, dass Lukas so etwas nicht ohne triftigen Grund von mir verlangen würde.
Ich trabe mit ihm durch die Landschaft, einzeln stehende Häuser tauchen auf, verschwinden wieder, und ich frage mich, wie ich die Pferde antreffen werde...
Auf einmal kommen mir zwei Pferde entgegen, die einen Planwagen ziehen. Wahrscheinlich ist er leer, ich sehe jedenfalls keine Menschen drin. Schlagartig wird mir klar, was Lukas meinte, als er sagte: "Die Pferde warten auf dich." Ich soll die Pferde befreien! Nix mit "Aufnahme in ihren Kreis" - ich habe eine verdammte Pflicht gegenüber allen unfreien Pferden!
Ein bisschen umständlich mache ich mich daran, die beiden Pferde loszuschirren, doch dann geht es. Das erste Pferd galoppiert davon. Welch ein befreiendes Gefühl! Dann das zweite. Nein, es scheinen keine Menschen auf dem Planwagen zu sitzen, die hätten sich schon lange gewehrt.
Ein Stück weiter trabt ein gesatteltes Pferd ohne Reiter von links nach rechts an mir vorüber.
Ich halte es an: "Warte, ich nehme dir den Sattel ab!"
Das ist ein bisschen komplizierter, aber dann ist auch dieses Pferd frei.

GipuzkoaKultura, Pferde in Ekainberri

Pferde, Höhlenmalerei aus Ekain, Baskenland
Quelle: Argazkiak
(Website leider nicht mehr erreichbar)
Urheber: GipuzkoaKultura

Schließlich erreichen wir einen Bauernhof. Mir war schon der Gedanken gekommen, dass ich etwas vorsichtiger vorgehen und mich mit List anschleichen sollte, denn irgendwo werden ja mal die Pferdehalter sein, und ich muss keinen Kampf provozieren. Doch auch auf dem Bauernhof sehe ich keinen Menschen. Trotzdem schleiche ich mich an das Tor an, öffne es und betrete den Pferdestall. In der ersten Box liegt ein krankes, abgemagertes Pferd auf dem Boden. Ich mache mir an den Leinen zu schaffen, als ich den Eindruck habe, dass jemand hereinkommt. In Windeseile klettere ich über die Hinterwand der Box und verstecke mich. Doch es war falscher Alarm. Ich klettere zurück und binde das Pferd los. Es kann nicht aufstehen. Ich kann es nicht einfach freilassen, es ist zu krank. In der zweiten Box steht ein kräftiges, gesundes Pferd. Im Nu habe ich es losgebunden und führe es zum hinteren Tor hinaus. Es galoppiert davon.
Bisher fand ich es zunehmend anstrengend, die Pferde zu retten, noch immer sitzt mir der Druck im Gehirn: Ich wollte doch eigentlich den verordneten Regenbogen... das wäre viel bequemer gewesen... Ich wollte doch eigentlich brav und gehorsam sein, das wäre viel bequemer gewesen... Ich werde immer ungeduldiger bei der anstrengenden Fummelarbeit. Doch langsam macht es mir Spaß. Eine richtige Guerilla!
Draußen auf dem Hof hält Lukas mich zurück und gibt mir eine große, bauchige Phiole mit einer kristallenen Flüssigkeit. Das ist ein Lebenselixier für das kranke Pferd! Schnell laufe ich zurück in den Stall und will ihm das Elixier einflößen, doch es kann aus der Phiole nicht trinken. Also schütte ich das Elixier in einen leeren Eimer. Das Pferd trinkt gierig - und steht unversehens stark und kräftig auf! Eilig entferne ich die letzten Leinen und führe es hinaus auf den Hof, wo es ebenfalls davongaloppiert.

Xavier Eskisabel, Große Wand von Eskainberri

Nun aber nichts wie weg! Ich sehe zwar immer noch keinen Menschen, aber man muss sein Schicksal ja nicht herausfordern. Und tatsächlich! Wir sind in eine Kleinstadt hineingelaufen. Wir laufen eine steile Straße hinauf, ich halte mich vorsorglich eng an den Häuserwänden - drehe mich kurz um und sehe erschrocken: Ein vielköpfiger Mob rennt aufgebracht hinter uns her! Die Leute schreien wütend, manche schwingen Mistgabeln. Was nun?


Wir rennen wie um unser Leben mit letzter Kraft aus der Stadt hinaus, da schlägt Lukas eine scharfen Haken nach links, ich hinterher, und wir rennen auf eine Brücke zu. Diese Brücke ist nicht für Fußgänger, sie ist überhaupt nicht zum Überqueren gedacht, sondern besteht nur aus einem Stahlträger, der gerade über den Fluss gespannt ist und zwei riesige Stahlbögen hält, die bis in den Himmel ragen. Lukas erklimmt den ersten Stahlbogen - ich hinterher - damit haben wir den Mob abgeschüttelt, hierher kann uns kein Mensch folgen. Und da hänge ich in schwindelnden Höhen auf einem schmalen Stahlbogen und bekomme einen furchtbaren Angstanfall. Was mache ich hier oben?! Ich werde abstürzen! Wie kann Lukas mir so etwas zumuten, ausgerechnet mir bei meiner extremen Höhenangst?!

Pferde, Höhlenmalerei aus Ekain, Baskenland
Quelle: Argazkiak
(Website leider nicht mehr erreichbar)
Urheber: Xabier Eskisabel

In diesem Augenblick höre ich Lukas laut, vernehmlich und mit einer seltsam beruhigenden Stimme sagen:
"Wovor hast du denn Angst? Das ist doch dein Element! Hier bist du zu Hause!"
Wie durch Zauberhand löst sich meine Höhenangst sofort wortwörtlich in Luft auf. Ich krieche über zwei himmelhohe, schmale Stahlbögen, als würde ich das jeden Tag machen. Und tschüss! Vom letzten Bogen lasse ich mich einfach nach unten rutschen wie in der Achterbahn.
Wir sind gerettet! Am anderen Ufer laufen wir eine Zeitlang nach links, bis ein mächtiges, altes Haus mit einem großen Toreingang vor uns auftaucht. Wir betreten den Toreingang, und ich erwarte schon, auf einem Schlosshof herauszukommen, doch es wird dunkler und enger, immer tunnelartiger, bis am Ende ein Licht auftaucht und wir wieder ins Freie treten.

... weitere Reiseberichte aus dem Reich der Seele auf Angelas Blog ...

Bison

Foto mit freundlicher Genehmigung
von Like Zoo

Meine erste Begegnung waren Bilder. Ich bin auf den Boden meiner Höhle gesunken, es war eine riesige Grotte, und vor mir an den Felswänden tauchten Bilder auf, sich lang hinziehende große Tierkörper in einer roten erdigen Farbe, wohl dieses Ocker, ein ganz erdiges Rot, warm und tief, kein schreiendes Blutrot, auch kein Orangerot, ein warmes weiches Braun-Gelb-Rot. Die Tiere an den Wänden lang hingestreckt, sich bewegende Tiere. Erst dachte ich, es seien Stiere oder Wisente, aber es waren Bisons aus uralten Zeiten, festgehalten in Bildern mit einer Lebendigkeit, dass man sie zu spüren meinte. Massige Tiere und in ihren wuchtigen Körpern eine solche Bewegtheit, eine so kraftvolle, geschmeidige Bewegtheit, da ist nichts Plumpes, nichts Träges, der ganze Körper eine einzige Sehne.
Später begegnete ich ihnen in der Steppe, das Stampfen ihrer Hufe, der Rhythmus ihrer Körper, die unbeschreibliche Kraft einer an mir vorübergaloppierenden Herde. Und dann war es MEIN Bison, den ich kennen lernte und der mich lange auf meinen Reisen begleitete. Er tauchte auf als ein Berg von Frieden und Geborgenheit, das Fell an den Beinen und am Bauch verdreckt und verfilzt, riechend nach Erde und Wärme. Wenn ich Schutz brauchte, schmiegte ich mich an ihn, griff in dieses braune, zottige, dichte Fell hinein. Seine Gegenwart ist mir ein tiefes Verbundensein mit der Erde, einer warmen, wohlwollenden Erde, die für all ihre Geschöpfe sorgt inmitten eines unendlichen Reichtums göttlicher Schöpferkraft.

Dieses Gefühl des vollkommenen Bewahrtseins zwischen Himmel und Erde, diese Absolutheit des Urvertrauens ist meiner Seele in den darauffolgenden Jahrtausenden verloren gegangen, weil der Schmerz um diese Welt und in dieser Welt zu stark geworden ist und ich nicht mehr unterscheiden konnte zwischen Mutter Erde und Menschenwelt. Auch jetzt in meinem Alltag trage ich dieses Gefühl nicht als Realität in mir, sondern nur als Erinnerung, die mich bruchstückhaft ausfüllt.

Bisons sind älter als die ältesten Menschenseelen dieser Erde, und sie sind Teil der Menschenseele bestimmter Seelenfamilien. Sie tragen in sich die Erinnerung an eine Zeit, als sie Helfer und Verbündete für die Menschen waren. Eine Zeit, als ein heiliges Bündnis bestand zwischen Mensch und Tier, getragen durch die Liebe zur Erde und zur Schöpferkraft. Dazu gehörte, dass sie dem Menschen als Nahrung dienten. Die Seele des Bisons ist Ausdruck einer archaischen Erdkraft, und sie ist Ausdruck der Liebe der Erde zu den Menschen.